– zwei Seiten einer Medaille
Gutachten für den Verband deutscher Pfandbriefbanken von
Dr. Michael Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln
November 2006, Köln
Die Wohneigentumsquote ist eine der meist zitierten Kennziffern zur Beschreibung des Wohnimmobilienmarktes. Es ist allgemein bekannt, dass Deutschland mit einer Wohneigentumsquote von etwa 43 Prozent im unteren Bereich der internationalen Ranglisten zu finden ist. In anderen Ländern wie im Vereinigten Königreich oder in Spanien liegt die Wohneigentumsquote dagegen bei fast 70 Prozent oder sogar 80 Prozent. Dieser Umstand wird oft als Schwäche des deutschen Immobilienmarktes dargelegt und politisch mit der Forderung nach Subventionen verknüpft. Oder aber die niedrige Wohneigentumsquote wird als Beleg für die vermeintliche Ineffizienz der Hypothekenmärkte herangezogen. Das Problem dieser Kennziffer ist, dass sie eine einseitige Sichtweise darlegt. Eine hohe Wohneigentumsquote wird als Erfolg dargelegt, obwohl damit auf der anderen Seite ein schwach ausgeprägter Mietwohnungsmarkt einhergeht. Es stellt sich also die Frage, ob es für eine Gesellschaft tatsächlich wünschenswert ist, auf den Mietwohnungsmarkt weitgehend zu verzichten und hauptsächlich auf den Erwerb von selbst genutzten Immobilien zu setzen. Auch die Gründe für die verhältnismäßig geringe Wohneigentumsquote werden oftmals nicht hinterfragt.
Im Vergleich zu vielen anderen europäischen Staaten stehen in Deutschland der Mietwohnungsmarkt und der Wohneigentumsmarkt gleichberechtigt nebeneinander. Dies ist im Wesentlichen auf drei Punkte zurückzuführen:
- 1. Der soziale Wohnungsbau hat dazu geführt, dass es im deutschen Wohnungsmarkt einen höheren Marktanteil von Mietwohnungen gibt. Besonders durch die hohe Qualität der Sozialwohnungen und die Einbeziehung privater Investoren wurde die Grundlage für einen größeren privaten Mietwohnungsmarkt bereitet.
- 2. Die Wohneigentümer wurden in Deutschland nicht so stark gefördert wie beispielsweise in Spanien oder den Niederlanden. Hierdurch ist die Entscheidungsverzerrung in Richtung Eigenheim weniger ausgeprägt. Außerdem wurden die meisten Förderungen nur ein- oder zweimal gewährt, so dass sich die Haushalte in der Regel erst spät für ein Eigenheim entschieden haben.
- 3. Schließlich, und dies ist wohl der entscheidende Grund, wurde der deutsche Mietwohnungsmarkt nicht durch ausufernde Eingriffe in die Mietpreise funktionsunfähig gemacht, wie dies beispielsweise in Spanien und im Vereinigten Königreich geschehen ist. Der deutsche Markt ist zwar weit davon entfernt als liberalisiert oder ideal zu gelten, jedoch wurde den Eigentümern mit der Vergleichsmietenregelung immer die Möglichkeit gegeben, die Preise in Richtung des Marktniveaus anzupassen.
Deutschland ist damit durch einen sehr starken Mietwohnungsmarkt gekennzeichnet, der tendenziell die Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes erhöht.
Gibt es auch Nachteile der geringen Eigentumsbildung? Letztlich gibt es kein Argument, das eine Subventionierung des Wohneigentums und die damit verbundene Steuerbelastung rechtfertigen würde. Die Vorteile aufgrund der größeren Immobilität der Eigentümer in Form eines höheren Sozialkapitals sind letztlich vernachlässigbar und werden schon allein durch die damit verbundenen Nachteile auf dem Arbeitsmarkt aufgewogen. Die These, dass Eigentümer mehr sparen als Mieter lässt sich nicht generalisieren, wie das Beispiel der USA zeigt. Darüber hinaus ist es fraglich, ob eine höhere Ersparnis der Hauseigentümer überhaupt in einen gesamtwirtschaftlichen Vorteil mündet. Und auch die Vorteile der Wohneigentumsbildung im Zusammenspiel von Geldpolitik und Konjunktur sind letztlich deutlich begrenzt und zukünftig womöglich noch weniger relevant. Auch dieser Argumentationsstrang kann somit nicht überzeugen.
Deutschland hat damit letztlich keinen Nachteil, sondern einen Vorteil, da die Bürger nicht in das Eigentum gedrängt werden. Stattdessen können sich die Haushalte allein aufgrund ihrer Bedürfnisse und Wünsche für oder gegen die Eigentumsbildung entscheiden.
Was die Zukunft angeht, so ist von einer leichten Annäherung der Wohneigentumsquoten in Europa auszugehen. Spanien, das Vereinigte Königreich, Österreich und noch weitere Länder haben den Mietwohnungsmarkt liberalisiert und steuerliche Vorteile zugunsten des Eigentums abgebaut. Dies wird dem Mietwohnungsmarkt einen Schub geben und die Wohneigentumsbildung dämpfen. Allerdings dauert es lange, bis die Haushalte das Mieten wieder als echte Alternative wahrnehmen und die Investoren wieder den Mut finden, in den Markt zu investieren.
In Deutschland ist dagegen davon auszugehen, dass der Trend zur Wohneigentumsbildung trotz des Wegfalls der Eigenheimzulage weiter anhält, wenn auch auf niedrigem Niveau. Für eine weiter steigende Eigenheimquote spricht besonders das größere Gewicht der privaten Vorsorge. In früheren Zeiten, als das Rentenniveau der gesetzlichen Rentenversicherung annähernd ausreichte, um den Lebensstandard zu sichern, war die Wohneigentumsbildung unter Investitionsgesichtspunkten häufig überflüssig. Derzeit und in Zukunft gewinnt das mietfreie Wohnen im Alter dagegen als Bestandteil einer individuellen Altersvorsorgestrategie an Gewicht. Darüber hinaus wird sich auch die fortschreitende Privatisierung öffentlicher und betrieblicher Wohnungen positiv auf die Wohneigentumsbildung auswirken. Parallel dazu wird diese Entwicklung auch die Immobilienfinanzierung betreffen. Grundsätzlich passt sich die Immobilienfinanzierung an die Wünsche der Mehrheit der Kunden an. Schon jetzt sind daher insgesamt höhere Beleihungsausläufe feststellbar. Zukünftig, wenn die Immobilie stärker als Investitionsgut wahrgenommen wird, ist auch damit zu rechnen, dass Produkte wie die Eigenkapitalentnahme (Mortgage Equity Withdrawal) oder umgekehrte Hypotheken (Reversed Mortgages oder auch Lifetime Mortgages) in Deutschland Fuß fassen.
Insgesamt sind der Wohnimmobilienmarkt und der Hypothekenmarkt in Deutschland für die weiteren Entwicklungen gut aufgestellt. Dies bedeutet, dass es für Eingriffe in die Märkte keine Rechtfertigung gibt. Im Gegenteil, eine überflüssige Intervention, sei sie steuerlicher oder produktspezifischer Art, könnte die Funktionsfähigkeit der Märkte belasten und damit die Entscheidungsfreiheit der Bürger einschränken. Gerade die Wahlfreiheit der Bürger über die Eigentumsbildung und die Möglichkeit der Hypothekenmärkte sich an die Wünsche der Kunden anzupassen, stellen sich als eine Stärke des deutschen Marktes dar.