1 Problemstellung
Die meisten Wohnungsunternehmen verfügen über stark segmentierte Bestände in unterschiedlichen Lagen und mit sehr differenzierten Ausstattungsmerkmalen. Hinzukommen unterschiedliche Nachbarschaften und Umgebungsbebauungen, was wiederum sehr verschiedene Bewohnerschaften nach sich zieht. Generell stellt sich bei den einzelnen Mikrolagen, die gern auch als „strategische Geschäftseinheiten“ (SGE) bezeichnet werden, die Frage: Was tun? Die Vielzahl der Einflussfaktoren und zu berücksichtigenden Interessen und sonstigen Randbedingungen macht es schwierig, Entwicklungstendenzen zu erkennen und sinnstiftend umzusetzen.
Letztlich stellt sich die Frage, was ist zu tun im Hinblick auf die Entwicklung dieses Teilbestandes, nämlich Investieren, Rückbauen, Neubau, Abwarten oder vielleicht auch ein Mix aus allen diesen Optionen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Interessen verschiedener Beteiligter in eine solche strategische Entscheidungsfindung einzubeziehen sind.
- Mieter wünschen sich zuallererst möglichst modernisierte Wohnungen, die über einen guten Standard verfügen. Schön wäre es, wenn repräsentative und funktionelle Außenanlagen vorhanden sind – und dies alles ohne die Miete oder die Betriebskosten, bspw. durch Aufzugseinbau – zu erhöhen.
- Aus naheliegenden Gründen wird wohl jedes Unternehmen bemüht sein, eine Entscheidung zu treffen, bei der möglichst wenig Eigenkapital zum Einsatz kommt, jegliche Form von außerplanmäßigen Abschreibungen vermieden wird und die Liquiditäts- und Ergebnisentwicklung wenn schon nicht verbessert, so doch nur geringfügig verschlechtert wird.
- Demgegenüber legen Gesellschafter und Gremien üblicherweise besonderen Wert auf die Zukunftsfestigkeit und Nachhaltigkeit von ins Kalkül zu ziehenden Portfoliomaßnahmen. Hinzukommt, dass auch Aspekte des Stadtumbaus und der Stadtentwicklung aktiv zu berücksichtigen sind.
- Der Fokus der Finanzierungsgläubiger richtet sich demgegenüber auf die Sicherung der Beleihungsausläufe und die Sicherheitensituation insgesamt. Banken wünschen sich stabile Geschäftsverbindungen und möglichst gute weitere Geschäfte, wenn etwa neue Darlehen mit einem günstigen LTV vereinbart werden können.
Fakt ist, dass es ausgesprochen schwierig ist, eine Mikrolage so zu entwickeln, dass alle Interessen aller Beteiligter gleichermaßen und nachhaltig Berücksichtigung finden.
Die von der Dr. Winkler GmbH entwickelte 3B-Analyse als Grundlage für Investitionsentscheidungen in problematischen Mikrolagen versucht, dieses Dilemma einer Lösung zuzuführen, indem wohnungswirtschaftliche Analysemethoden und -Werkzeuge zum Einsatz kommen.
Die 3B-Analyse bezieht sich dabei auf drei Blickrichtungen unter Zuhilfenahme wohnungswirtschaftlicher Analyseinstrumente. Im Einzelnen sind das:
– Portfolioanalyse,
– sozio-demografische und sozio-ökonomische Analyse
– Liquiditäts- (Ergebnis-)analyse.
Die gewonnenen analytischen Erkenntnisse werden am Ende des Betrachtungsprozesses im Rahmen einer Synthese zusammengestellt, um daraus letztlich Strategieempfehlungen für die betrachtete Mikrolage ableiten zu können.
2 Portfolioanalyse
Die Immobilienportfolioanalyse zählt zu den grundlegendsten immobilienwirtschaftlichen Analyseinstrumenten. Sie geht auf die Portfoliotheorie nach Markowitz zurück und verdichtet die gewonnenen Analyseergebnisse schließlich in einer daraus abgeleiteten Portfoliostrategie. Es gibt ganz unterschiedliche Ausprägungen und Umsetzungen, wobei die bekannteste wohl die Vier-Felder-Matrix der Boston Consulting Group (BCG-Matrix) sein dürfte. Analysiert man nun die Mikrolage, so ergeben sich Aussagemöglichkeiten zur Struktur und Situation für die jeweilige strategische Geschäftseinheit. Letztlich wird sich ein Analyseergebnis herauskristallisieren, das zunächst eine qualitative Bewertung des Bestandes im Hinblick auf mögliche Entscheidungskriterien ermöglicht.
Zunächst wird es jedoch hier nur eine qualitative Bewertung geben können, indem prinzipiell Abriss, Modernisierung, Neubau oder die Überführung in den sogenannten Wartebestand empfohlen werden. Die Antwort auf die Frage nach dem: Wieviel? bleibt zunächst offen.
3 Sozio-demografische und die sozio-ökonomische Analyse
In einem zweiten Analyseschritt wird die sozio-demografische und die sozio-ökonomische Struktur innerhalb der Mieterschaft des jeweils betrachteten Unternehmens detailliert untersucht. Dabei ist die Soziodemografie als ein in der empirischen Sozialforschung gebräuchlicher Begriff, der die Bevölkerungsmerkmale beschreibt, die die Mitglieder einer Stichprobe oder Zielgruppe charakterisieren. Demgegenüber kann mithilfe sozio-ökonomischer Merkmale eine Zielgruppe quantitativ und unter sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten beschrieben werden. Wesentliche Kenngrößen sind dabei:
– Schulabschluss,
– Haushaltsgröße,
– Kaufkraft,
– Umzugswünsche,
– Arbeitslosigkeit,
– wirtschaftlicher Status,
– Wohndauer,
– Einkommen,
– Anzahl der im Haushalt lebenden Kinder,
– Wohnzufriedenheit,
– Alter,
– Migrationshintergrund,
– eventuelle Fortzugsgründe,
– Geschlecht,
– gesellschaftlicher Status,
– Tätigkeit,
– Beruf,
– Familienstand und
– Bildungsabschluss.
Wichtig ist es, eine Antwort auf die Frage zu erhalten: Wer sind unsere Mieter?
Noch wichtiger und unter strategischen Gesichtspunkten ist jedoch die Aussage: Wer werden unsere künftigen Mieter sein?
Bei der Suche nach der Antwort, wer denn nun die künftigen Mieter mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sein werden, müssen weitere Aspekte berücksichtigt werden:
– Altersstruktur,
– Jugend- und Altenquotient,
– Bevölkerungsbewegung in der Gemeinde und darüber hinaus,
– Geburten- und Sterbefälle,
– Struktur der Haushalte (Personenzahl, Kinder, Alleinerziehende…),
– Arbeitslosigkeit, Langzeitarbeitslose, Leistungsempfänger nach SGB II und XII,
– Miethöhen der Mitbewerber,
– Lebensstilorientierung,
– Kaufkraft und Kaufkraftentwicklung.
Bedauerlicherweise sind diese Daten nicht komprimiert erhältlich, sondern müssen aus einzelnen Quellen zusammengetragen werden, die da sind:
– Statistiken Bund, Land, Stadt (destatis.de, statistische Landesämter),
– Einwohnermeldeämter,
– Mikrozensus, Zensus,
– Haushaltsbefragungen,
– Mystery Shopping,
– Datenanbieter (entgeltlich) wie GfK, Post, Immoscout,
– Stadtentwicklungspläne,
– Mietenspiegel.
Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang die von der GfK Gesellschaft für Konsumforschung SE Nürnberg entwickelten „Roper Consumer Styles“. Dabei handelt es sich um einen Zielgruppenansatz, der Aussagen zu konsumorientierten Werten, den Interessen und Aktivitäten der Verbraucher generell liefert. Daraus wiederum lassen sich Lebensstile und wiederum daraus resultierende Konsumpräferenzen ableiten. Bei einer Interpretation der so erzielten Ergebnisse ist es möglich, Aussagen zu Einstellungs- und Verhaltensweisen der Konsumenten und Mieter zu erlangen, was wiederum als Grundlage für die Entwicklung eines zielgruppenspezifischen Marketings gilt.
Letztlich unterscheiden sich die Konsumenten und Mieter in den unterschiedlichen Bedürfnissen, für die es im Wesentlichen vier Ausprägungen gibt:
– Bedürfnis zu Sein,
– Bedürfnis zu Haben,
– Bedürfnis nach Leidenschaften im Leben und
– Bedürfnis nach Frieden und Sicherheit.
…
Im Ergebnis der sozio-demografischen und sozio-ökonomischen Analyse sollten Antworten auf Fragen gefunden worden sein:
– Wer wohnt bei uns?,
– Besteht Nachfrage nach diesem oder anderem Wohnraum (z.B. Neubau)?,
– Welche Mieten können künftig gezahlt werden? (Kaufkraft),
– Welche Struktur haben die Nachfragerhaushalte?,
– Ordnen sich ins Kalkül gezogene Portfoliomaßnahmen in der Mikrolage ein – auch unter
Berücksichtigung der Position/des Bestandes der Mitbewerber?
4 Betriebswirtschaftliche Betrachtung
Schlussendlich sind die ins Kalkül gezogenen Maßnahmen im Hinblick auf die langfristige Auswirkung auf die Liquidität sowohl in der strategischen Geschäftseinheit als auch für das Gesamtunternehmen zu untersuchen. Es bietet sich an, diese Untersuchung auf der Basis einer Szenario-Rechnung vorzunehmen, die der Frage nachgeht: Was wäre, wenn…?
In die Kalkulation einzubeziehende Parameter sind dabei sicherlich ein Betrachtungszeitraum, der langfristig gewählt werden sollte, die angestrebte Untergrenze eines künftigen Cash-Flows – hier wiederum sowohl für die SGE als auch für das Gesamtunternehmen – einsetzbare Eigenmittel und Darlehen sowie die ins Kalkül gezogene Mietobergrenze, die bspw. in Verbindung mit Neubauvorhaben oder komplexen Modernisierungsmaßnahmen eine Rolle spielt.
Im Ergebnis der Liquiditätsbetrachtung, die bei Bedarf auch auf die Entwicklung des Jahresergebnisses ausgedehnt werden kann, ergeben sich Aussagen zur Kapitalflussrechnung generell und zur jährlichen Liquiditätsleistung für die Mikrolage und das Gesamtunternehmen. Damit lassen sich letztlich auch Aussagen generieren, die die Wirtschaftlichkeit der ins Kalkül gezogenen Investitionsmaßnahmen generell darstellen. Mit anderen Worten: Welchen Beitrag leistet die betrachtete Mikrolage mit und ohne Portfoliomaßnahmen jetzt und künftig für das Gesamtunternehmen.
5 Synthese
Im letzten und entscheidenden Schritt werden die Erkenntnisse aus Portfolioanalyse, sozio-demografischer und sozio-ökonomischer Analyse sowie die Ergebnisse der Liquiditätsvorschau in einem Syntheseschritt zusammengefasst und Aussagen abgeleitet. Dabei ist es wichtig, die einzelnen Parameter und deren Änderungen und Auswirkungen auf das Gesamtunternehmen zu betrachten und zu werten. Die Vielzahl „weicher Faktoren“ erschwert dabei sicherlich die Betrachtung und macht eine eineindeutige Lösung praktisch unmöglich. Die langfristige Simulation der betrachteten SGE in Verbindung mit dem Gesamtunternehmen ist im Sinne einer Proberechnung in jedem Fall unabdingbar erforderlich.
6 Zusammenfassung
Im Fazit lässt sich feststellen, dass die 3B-Analyse zur Entscheidungsfindung im Hinblick auf die Bestandsentwicklung von Mikrolagen eine Lösung für mehrdimensionale, multivariante Problem- und Aufgabenstellungen ermöglicht. Die Berücksichtigung unterschiedlicher Blickrichtungen ist erforderlich, um die Interessen aller Beteiligter (Stakeholder) gleichermaßen zu berücksichtigen. Die 3B-Analyse ist in der Lage, ein womöglich bereits vorhandenes „Bauchgefühl“ durch eine belastbare Analyse zu untersetzen. Berücksichtigt werden dabei
– Immobilienportfolio an sich,
– sozio-demografischen und die sozio-ökonomischen Gegebenheiten,
– Liquiditätsentwicklung der SGE und
– Liquiditätsentwicklung des Gesamtunternehmens.
Die Abschätzung der Auswirkungen von Maßnahmen in der jeweilige Mikrolage auf das Gesamtunternehmen können jedoch nur dann den Anforderungen an eine risikoaverse und verantwortungsvolle Unternehmensführung genügen, wenn auch die damit verbundenen Nebeneffekte wie
– Fixkostendegression,
– Skaleneffekte,
– Reboundeffekte und
– Rationalisierungseffekte
in die Analyse mit einbezogen werden. Die letztlich entscheidende, detaillierte Analyse und damit verbundene entscheidende Synthese muss für die Interpretation der ermittelten Ergebnisse immer und grundsätzlich im Kontext des Gesamtunternehmens und darf niemals nur für den Einzelstandort erfolgen.
Was bleibt, ist ein Rest Spannung und eine asymptotische Näherung an die optimale Lösung, bei der wir Ihnen gern behilflich sind.
Der Inhalt des vorstehenden Artikels wurde von Herrn Dr. Winkler im Rahmen eines Fachvortrages bei der WSA in Bad Saarow am 18. Mai 2017 mit einer PowerPoint-Präsentation vorgetragen. Diese steht Ihnen hier im PDF-Format zum Download bereit:
3B Analyse als Grundlage für Investitionsentscheidungen in problematischen Mikrolagen